„Worm-like robots“ eröffenen neue Vortragsreihe „Opening Academia“

Dr. Abaza, Ingenieur, spricht für aeWorldwide über Eritrea in der Stadtbücherei Frankfurt am Main © Parwiz Rahimi

Dr. Abaza, Ingenieur, spricht für aeWorldwide über Eritrea in der Stadtbücherei Frankfurt am Main © Parwiz Rahimi

Als Dr. Khalduum Abaza das erste Mal nach Deutschland kam, war er noch Akademiker. Wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität Stuttgart. Später Doktorand an der Universität Ilmenau. Nach beruflichen Stationen im Bauwesen in Katar und den Vereinigten Arabischen Emiraten zog es den Ingenieur des Maschinenbauwesens zurück in die Heimat nach Syrien. Seit September diesen Jahres ist Dr. Abaza nun wieder in Deutschland und sieht sich fortan jener Gruppierung zugeordnet, die allgemeinhin als „Flüchtlinge“ bezeichnet werden. Nicht so an diesem Abend. Im Rahmen der Debutveranstaltung der Vortragsreihe „Open Academia“ des Vereins academic experience Worldwide e.V. (aeWorldwide) konnte Dr. Abaza wieder ganz der Wissenschaftler und Ingenieur sein, als der er einst aus Syrien auszog, die Welt samt ihrer Besonderheiten kennen und verstehen zu lernen.

Für Merle Becker, Initiatorin und Mitbegründerin des Vereins, gehört die Aufweichung und Distanzierung geläufiger Kategorien wie jene des „hilfsbedürftigen Flüchtlings“ oder des „Wirtschaftsflüchtlings“ zu den zentralen Anliegen der aeWorldwide. „Es geht um eine Begegnung auf Augenhöhe zwischen deutschen und ausländischen Wissenschaftlern“, erläuterte die ehemalige Studentin der Konflikt- und Friedensforschung das Konzept der nun gestarteten zehnteiligen Vortragsreihe. Gemeinsam mit einer Kommilitonin gründete sie den Verein bereits 2013 mit dem Anspruch geflüchteten Akademikern bei der Vernetzung zu helfen und Zugänge in den deutschen Wissenschaftsbetrieb zu ermöglichen. Umgekehrt aber auch die heimische wissenschaftliche Basis jenseits eurozentrischer Pfade mit neuen Perspektiven zu befruchten. Kooperationspartner der Initiative ist die Akademie für Bildungsforschung und Lehrerbildung (ABL), wo sich Becker als wissenschaftliche Mitarbeiterin unter dem Stichwort „Diversität“ ebenfalls mit dem Thema „Flüchtlinge“ in der Lehrerbildung auseinandersetzt.

Olaf Cunitz und Merle Becker bei dem Opening Academia-Vortrag von Dr Abaza © Parwiz Rahimi

Olaf Cunitz und Merle Becker bei dem Opening Academia-Vortrag von Dr Abaza © Parwiz Rahimi

Dr. Abaza war nun der erste, der im Rahmen der „Open Academia“ zu Wort gebeten wurde. Rund 50 Gäste waren in die Stadtbücherei in der Hasengasse gekommen, seinem Vortrag „Design by Nature“ über biologisch-inspirierte mobile Roboter und wurmartige Bewegungen in englischer Sprache zu zuhören. Zunächst gab der 1970 in Syrien geborene Ingenieurswissenschaftler allerdings Auskunft über seine biographischen Stationen in Deutschland und die Herausforderungen und Gegebenheiten als Akademiker an der Universität von Damaskus. Insbesondere die Unterschiede ließen aufhorchen. So unterrichtete Dr. Abaza während seiner Doktorzeit an der Universität Ilmenau maximal 35 Studenten. In Damaskus waren es 8000. Auch die Forschung stellte sich mangels finanzieller Mittel als nahezu unmöglich heraus. Die politische, wie humanitäre Situation bewog ihn letztlich zur Ausreise. „Es ging nicht mehr“, sagte Dr. Abaza. „Es ist zu gefährlich dort zu bleiben.“

Den wissenschaftlichen Teil seines Vortrages über wurmartige Roboter leitete Dr. Abaza mit seiner Wertschätzung für die Natur ein. Sie sei der „größte Designer“ und könne Lösungen und Antworten auf Probleme aller Art liefern. Als Beispiele für die Anwendung zählte Dr. Abaza unter anderem den Katastrophenschutz auf. Erdbeben oder Überschwemmungen hinterließen Verwüstungen, die für den Menschen oft nur schwer zugänglich oder zu gefährlich seien. Wurmroboter könnten hier Abhilfe schaffen. Aber auch Einsätze in der Reparatur von Pipelines oder gar in der medizinischen Chirurgie hält Dr. Abaza für denkbar.

Dr. Abaza, Ingenieur, spricht für aeWorldwide über Eritrea in der Stadtbücherei Frankfurt am Main © Parwiz Rahimi

Dr. Abaza, Ingenieur, spricht für aeWorldwide über Eritrea in der Stadtbücherei Frankfurt am Main © Parwiz Rahimi

Einen möglichen Weg dorthin skizzierte der Ingenieur anhand von Filmaufnahmen aus seiner Forschungszeit, in denen er zwei selbstentwickelte Prototypen präsentierte. Die erste Konstruktion orientierte sich an der typischen Anatomie eines Wurms und vollführte als vollmechanisches Modell vereinfachte Kriechbewegungen vorwärts, wie rückwärts. Prototyp II verband hingegen Bewegungsmuster von gleich drei biologischen Tierarten. „Man kann viele Dinge der Natur kombinieren, die so nicht existieren“, kommentierte Dr. Abaza seine Finger-große Konstruktion, die Charakteristika einer Kakerlake, eines Erdwurms und eines Salamanders beinhaltete. Das gemeinsame Element hinter seiner Wissenschaft sei letztlich aber die mathematische Entschlüsselung all dieser Abläufe. „Dies sei das Schöne an der Mathematik“, schwärmte Dr. Abaza angesichts geringster Geldmittel, der weite Teile seiner Forschung durch formelbasierte Gleichungen löste.

Dr. Abaza, Ingenieur, spricht für aeWorldwide über Eritrea in der Stadtbücherei Frankfurt am Main © Parwiz Rahimi

Dr. Abaza, Ingenieur, spricht für aeWorldwide über Eritrea in der Stadtbücherei Frankfurt am Main © Parwiz Rahimi

In der anschließenden Fragestunde offenbarte sich ein interessiertes Publikum. Könne man auch Insekten als Vorbild für die Robotik verwenden? Natürlich seien alle Formen der Bewegung für die Konstruktion von Robotern vorstellbar. Eine andere Dame interessierte sich für die mathematische Darstellung des „Gehens“, welche, wie Dr. Abaza betonte, viel komplexer sei, als jene des „Kriechens“. Indes lobte ein anderer Gast mit gleichfalls ingenieurswissenschaftlichen Hintergrund den „interdisziplinären Ansatz“ des syrischen Doktors.

Die gemischte Zusammensetzung aus fachfremden, wie fachkundigen Besuchern begeisterte Becker und bestätigte ihr Bestreben mit „Open Academia“ eine offene und vor allem bürgernahe Plattform geschaffen zu haben. Diese Form des offenen Austauschs solle zukünftig auch beim Kooperationspartner der ABL für die Lehrerbildung eine wichtige Rolle spielen, in der es vermehrt zu Weiterbildungsmöglichkeiten und Workshops zum Thema „Flüchtlinge“ kommen soll. Becker sieht auch hier viel Potenzial, geflüchtete Menschen mit didaktischem Hintergrund und angehende Lehrer aus Deutschland zusammenzubringen, um den Horizont für die Praxis des Lehrens zu erweitern und auszuloten.

Autor:

Ivo Greuloch von der Akademie für Bildungsforschung und Lehrerbildung der Goethe Universität Frankfurt am Main