Alles neu macht der Mai

Endlich war es soweit – die asylsuchenden Teilnehmer des Projekts aeWorldwide kamen das erste Mal an die Uni und trafen ihren Tandempartner.

Am 13. Mai kamen die asylsuchenden Akademiker das erste Mal an die Goethe-Universität. Neben den fünf derzeit aufgenommenen Teilnehmern des Projekts aeWorldwide, hatten sich ihnen viele weitere Interessierte aus Eritrea, Äthiopien und Afghanistan angeschlossen. Zuerst zeigten wir ihnen den neuen Westend-Campus: Die verschiedenen Gebäude und Fachbereiche, die Bibliotheken und Mensen. Danach warteten wir bei Kaffee und Kuchen in unserem Raum im IG-Farben Haus auf die anderen Teilnehmer des Tutoriums sowie die deutschen Tandem-Partner.

Im ersten gemeinsamen Tutorium herrschte gute Stimmung!

Im ersten gemeinsamen Tutorium herrschte gute Stimmung!

Während wir warteten, diskutierten wir ein Problem: Wir verfügen derzeit nicht über die finanziellen Ressourcen, um mehr als fünf Plätze in unserem Projekt anbieten zu können – die Nachfrage ist aber um einiges höher! Der ehrenamtlich in Asylbewerberheimen tätige Lehrer Uli Tomaschowski, der die Initiative ‚Teachers on the Road – Netzwerk konkrete Solidarität‘ gegründet hat, schlug uns deswegen vor, nach dem Tutorium in Zukunft einen Deutschkurs in den Räumlichkeiten der Universität anzubieten. Hierfür und für ein weiteres Treffen mit Tandempartnern in der Woche könnten die übrigen Asylbewerber mit Gruppentickets nach Frankfurt reisen. Kurzerhand rief Uli ein paar Leute an. Es gelang ihm tatsächlich umgehend einen Sponsoren aufzutreiben, der diesen Vorschlag für den kommenden Monat finanzieren wird! Von so viel Enthusiasmus und spontanem Engagement sind wir tief beeindruckt!

Das Tutorium hatten wir diese Woche etwas lockerer gestaltet, damit sich erst einmal alle kennenlernen und an die neue Situation gewöhnen. Wir hatten Tee und Kaffee organisiert, einige Tutoriumsteilnehmer hatten Kuchen, Kekse und Früchte mitgebracht. Zuerst spielten wir ,Speeddating‘ – ein Kennenlernspiel, bei dem sich fast alle Teilnehmer persönlich miteinander befassen. Die Teilnehmer werden in zwei Reihen aufgestellt und haben eine Minute Zeit sich gegenseitig vorzustellen und Fragen zu stellen. Da sich einige der Asylbewerber schon kannten, stellten sie sich in Deutsch vor und stellten einander knifflig formulierte Fragen. Die Sprache wechselte ansonsten zwischen Deutsch und Englisch – je nachdem womit das Gegenüber sich besser ausdrücken konnte. Die Stimmung war lebhaft, fröhlich und der Geräuschpegel hoch. Nach dem Spiel waren sich alle ein bisschen näher gekommen, hatten kurze Geschichten aus den Leben der Anderen gehört und sich selbst aus anderen Blickwinkeln wahrgenommen. Da nicht jeder mit jedem geredet hatte, setzen wir die Stunde mit einer großen Kennenlernrunde fort, bei der nicht nur Aktuelles und Vergangenes, sondern auch zukünftige Wünsche, Ziele und Pläne kommuniziert werden konnten.

Da es sich bei unserem Tutorium ja primär um ein akademisches Seminar und weniger um einen Kaffeeklatsch handelt, hatten wir ein Thema vorbereitet, das sich grob der Philosophie zuschreiben lässt, wo aber fast jeder Mensch einen individuellen Erfahrungshorizont zu hat. Wir fragte: Was ist eine Grenze? Was bedeutet eine Grenze? Wodurch wird eine Grenze gezogen? Und warum? Ist eine Grenze eine Linie oder ein Raum? Gibt es Grenzen nur zwischen Nationen oder auch in anderen Kontexten?

Was sind Grenzen?   © sxc.hu/ef75

Was sind Grenzen?
© sxc.hu/ef75

Nach anfänglicher Schüchternheit waren wir überwältigt von den vielen kreativen und innovativen Ideen zu diesem Thema! Einige Wortbeiträge beinhalteten Ideen, die Theoretiker wie Zygmunt Baumann oder Hans-Peter Dürr nicht besser auf den Punkt gebracht haben. Einerseits wurde die limitierende und ausschließende Wirkung von Grenzen betont, ihre Zufälligkeit und Willkür. Andererseits aber ihre transzendente Bedeutung für die eigene Identität und Zuordbarkeit, die durch Grenzen garantiert wird. Auch historische Zusammenhänge wurden diskutiert, wie die Problematik der Grenzen in Afrika, die kolonialistische Staaten dort einst gezogen haben und die immer noch in Takt sowie Grund für Kriege und gewaltsame Auseinandersetzungen sind. Natürliche Grenzen waren ebenso ein Thema – so ist es einem Eisbären nicht möglich, in der Sahara zu leben.

Wir schlossen mit der Erkenntnis, dass Grenzen den Bereich der Intersubjektivität organisieren und dadurch die individuelle Freiheit einschränken (müssen?). Problematisch ist hier vor allem die konstituierende und konstruierte Macht von Grenzen, die Hierarchien zwischen Menschen nicht nur hervorbringen sondern auch zementieren.

Nach dieser tollen Erfahrung freuen wir uns besonders auf nächste Woche! Spätestens ab da werden dann auch die letzten Tandems ihre gemeinsame Arbeit aufnehmen.

Der vergangene Dienstag hat uns gezeigt, wie schön es ist, wenn Menschen zusammenkommen und wie wichtig Integration ist. Wir freuen uns über das große Interesse an aeWorldwide und arbeiten daran, das Projekt in Zukunft noch auszubauen.